Mondscheinsonate


Auftakt


Ein Ton so zart, dass es wie ein Windhauch klang, schwebte durch den Saal, es war ganz und gar still, niemand regte sich, niemand sprach. Beinahe ehrfurchtsvoll lauschten die über fünfhundert Gäste im Konzertsaal. 
Ohne darüber nachdenken zu müssen flogen die Hände der jungen Frau über die Tasten des Konzertflügels und entlockten dem Instrument meisterhaft seine schönsten Klänge. Kein Herz blieb ungerührt und alle lauschten atemlos dem Spiel der Pianistin. Virtuos meisterte sie Höhen und Tiefen, ließ keine Note unberührt und brachte keinen einzigen Missklang in die perfekte Harmonie dieser Sonate. Alles war erfasst.
Alle Sätze wurde gespielt und wo Langeweile hätte aufkommen können, wurde diese im Keim erstickt, als rüttle die junge Frau selbst die Müden wieder wach und die Aufmerksamen wurden nur noch hellhöriger. Die Kritischen gaben alle Mekelei auf, den Sanften kamen die Tränen und selbst die Harten mussten sich zusammenreißen nicht zu sehr in diesem Spiel aufzugehen.
Vom leisen und zarten Anfang ging es zum wilden Ritt über die Tasten. In stürmischer Folge. Laut, stürmisch, klar und deutlich. Keine Zurückhaltung mehr. Hin und her schien sie es zu reißen. Wie Wellen die an den Strand schlugen und alles wieder mit sich nahmen, was sie bekommen konnten. Dem Zog des Liedes konnte sich niemand entziehen. Die Herzen riss es mit sich und ließ sie Tanzen wie die Pianistin die Tasten ihres Flügels. Bis zum schnellsten Punkt. Die Wende, langsamer wurden die Wellen der Musik. Doch das Stück endete nicht leise, wie es begonnen hatte. Laut wie ein Donnerschlag halte die letzte Note der Sonate durch den Saal. 
Der Moment danach verging in absoluter Stille im Einklang mit der Welt. Die junge Frau im blauen Kleid verharrte. Innerhalb eines Wimpernschlages brauste es im Saal, dieses Mal waren es die Gäste, die Wellen durch den Raum schlagen ließen. Tosender Beifall, wie stürmische See.
Die brünette Frau erhob sich und vollführte eine elegante Verbeugung vor dem Publikum. Das Lächeln so breit, das es fast ihre gesamte untere Gesichtshälfte einzunehmen schien. Das lange Haar fiel ihr bei ihrer Verbeugung ins Gesicht. Das enthusiastische Klatschen nahm erst nach einigen Augenblicken ab.
Doch das Äußere täuschte. Die junge Frau hasste es. Sie hasste es zu spielen, sie hasste die Menschen, die sie bejubelten, sie hasste es sie selbst zu sein. Und doch, sie lächelte und tat, was getan werden musste.



Das Lied, das sie spielt. |.  Das Lied, das sie spielt. ||.



Bogenstrich




Eine einsame Gestalt, eine Geige in seiner einen, den Bogen in der anderen Hand. Seine Schultern gestraft, den Kopf in den Nacken gelegt und seine Augen fest geschlossen. Der Raum in welchem er stand, war fast leer, nur ein paar niedrige Schränke standen an der hinteren Wand. Außerdem noch ein großes Schwarzes Klavier. Durch die hohen Fenster drang die warme Nachmittagssonne mit ihrem weichen Licht und warf lange Schatten, auch auf den Mann mit seiner Geige.
Regelmäßig war sein Atem, doch von Entspannung seines Inneren konnte keine Rede sein.
Er war aufgewühlt und versuchte dabei doch noch immer gelassen zu wirken, ein Versuch der ohne jeden Zweifel den man einfach für gescheitert erklären musste. Dass Haar wie durch einen Sturm zerzaust, die Kleidung eine Anhäufung von offener Unordnung und in dem männlichen Gesicht der dunkle Schatten eines Dreitagebarts.
Endlich, nach unendlich scheinenden Augenblicken, öffneten sich seine dunklen Augen, die im Gegenlicht fast schwarz erschienen. Und schon ging alles wieder rasend schnell.
In nur einem Zug legte er sein Instrument unter das Kinn, setzte den Bogen auf die Saiten, atmete tief ein und hielt die Luft in seinen Lugen, um mit dem Ausatmen im Einklang den ersten Bogenstrich zu vollführen. Doch es war nicht wie es sein sollte, er kratzte zu sehr über die angeschlagene Saite. Mit jedem weiteren Zug des Bogens klang das Lied immer ein wenig mehr falsch, immer ein wenig unvollständiger.
Seine Technik, sie war wie sie sein musste, der richtige Takt, Tonlage und die richtigen Noten. Doch trotzdem fehlte ihm etwas, etwas was nicht an mangelnder Übung liegen konnte. Die Inspiration sein Spiels, sie war nicht vorhanden. Es gab keinen Funkensprung, es war als fehlte seinem Lied das Herz. Leider fand man all dies nicht in Übung oder Technik, man musste etwas in sich selbst finden oder etwas von Außen. Konnte man es nicht finden, so würde man ewig dort stehen bleiben wo man im heute war. Fand der junge Geiger also nichts, würde sein Weg hier enden, eine Sackgasse, nicht einmal ein Trampelpfad. Selbst mit viel Übung gab es hier nichts mehr zu holen.
Und der junge Mann wusste es, wusste es hätte anders klingen müssen. Unzufrieden und voller Zweifel zeigten sich tiefe Falten auf seiner Stirn, doch kein Anzeichen, das er auch nur daran dachte sein Spiel zu beenden. Trotzdem entlockte er seinem Musikinstrument nun nur noch weitere Misstöne, welche seine Zweifel an sich und seinem Tun nur noch weiter verstärkten. Jedoch, statt entnervt alles abzubrechen, die Geige und den Bogen jeweils in verschiedene Ecken des Raumes zu pfeffern und zu verschwinden, spielte er nur immer weiter. Er wollte das Stück, voller Respekt vor der Musik, zu einem Ende bringen.
Die Takte und Klänge wurden wieder sauberer, wenn wohl auch noch immer kein einziger der Töne, die durch den Raum flogen, ein Publikum wahrhaftig mitgerissen hätte. Doch heute wurde eh nur für die Schatten und ihn selbst aufgespielt. Zitternd hallte der letzte Ton im Musikzimmer, eines kleinen Colleges, nach. Schon fast pathetisch verbeugte sich der Geiger vor seinem Schattenpublikum und sah dann hinab auf sein Instrument. Ein Trauerspiel.
Wo sollte er nur auftreiben was ihm so unbedingt fehlte? Woher sollte es kommen? Wie lange suchte er schon und fand doch nichts außer weiteren Sackgassen und Irrwegen. Kein Erfolg konnte für ihn verbucht werden. Immer nur Zurückweisung und Hohn. Aber an seinem Herz konnte es nicht liegen. Er liebte was er tat, er liebte es zu spielen, die Musik mit jeder Faser seines Körper zu spüren. Sobald der Bogen an den Saiten lag und das Spiel begann war es, als wäre er sich selbst und der Welt ganz nah. Aber was brachte die Liebe zur Musik und zur Geige, wenn er selbst es nicht schaffte mit dem was er tat der Welt zu gefallen. Auch wenn es für ihn Wohltat war, so konnte kein Künstler es lange ertragen, wenn nicht wenigstens ein Mensch anerkannte, was er tat.
Mit stiller Trauer, schlaffen Schultern und gesenktem Haupt, verließ, der eigentlich so stattliche, Mann das Zimmer. Zurück blieben nur die Schatten.

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