Sonntag, 9. Oktober 2011

Mondscheinsonate

Bogenstrich

Eine einsame Gestalt, eine Geige in seiner einen, den Bogen in der anderen Hand. Seine Schultern gestraft, den Kopf in den Nacken gelegt und seine Augen fest geschlossen. Der Raum in welchem er stand, war fast leer, nur ein paar niedrige Schränke standen an der hinteren Wand. Außerdem noch ein großes Schwarzes Klavier. Durch die hohen Fenster drang die warme Nachmittagssonne mit ihrem weichen Licht und warf lange Schatten, auch auf den Mann mit seiner Geige.
Regelmäßig war sein Atem, doch von Entspannung seines Inneren konnte keine Rede sein.
Er war aufgewühlt und versuchte dabei doch noch immer gelassen zu wirken, ein Versuch der ohne jeden Zweifel den man einfach für gescheitert erklären musste. Dass Haar wie durch einen Sturm zerzaust, die Kleidung eine Anhäufung von offener Unordnung und in dem männlichen Gesicht der dunkle Schatten eines Dreitagebarts.
Endlich, nach unendlich scheinenden Augenblicken, öffneten sich seine dunklen Augen, die im Gegenlicht fast schwarz erschienen. Und schon ging alles wieder rasend schnell.
In nur einem Zug legte er sein Instrument unter das Kinn, setzte den Bogen auf die Saiten, atmete tief ein und hielt die Luft in seinen Lugen, um mit dem Ausatmen im Einklang den ersten Bogenstrich zu vollführen. Doch es war nicht wie es sein sollte, er kratzte zu sehr über die angeschlagene Saite. Mit jedem weiteren Zug des Bogens klang das Lied immer ein wenig mehr falsch, immer ein wenig unvollständiger.
Seine Technik, sie war wie sie sein musste, der richtige Takt, Tonlage und die richtigen Noten. Doch trotzdem fehlte ihm etwas, etwas was nicht an mangelnder Übung liegen konnte. Die Inspiration sein Spiels, sie war nicht vorhanden. Es gab keinen Funkensprung, es war als fehlte seinem Lied das Herz. Leider fand man all dies nicht in Übung oder Technik, man musste etwas in sich selbst finden oder etwas von Außen. Konnte man es nicht finden, so würde man ewig dort stehen bleiben wo man im heute war. Fand der junge Geiger also nichts, würde sein Weg hier enden, eine Sackgasse, nicht einmal ein Trampelpfad. Selbst mit viel Übung gab es hier nichts mehr zu holen.
Und der junge Mann wusste es, wusste es hätte anders klingen müssen. Unzufrieden und voller Zweifel zeigten sich tiefe Falten auf seiner Stirn, doch kein Anzeichen, das er auch nur daran dachte sein Spiel zu beenden. Trotzdem entlockte er seinem Musikinstrument nun nur noch weitere Misstöne, welche seine Zweifel an sich und seinem Tun nur noch weiter verstärkten. Jedoch, statt entnervt alles abzubrechen, die Geige und den Bogen jeweils in verschiedene Ecken des Raumes zu pfeffern und zu verschwinden, spielte er nur immer weiter. Er wollte das Stück, voller Respekt vor der Musik, zu einem Ende bringen.
Die Takte und Klänge wurden wieder sauberer, wenn wohl auch noch immer kein einziger der Töne, die durch den Raum flogen, ein Publikum wahrhaftig mitgerissen hätte. Doch heute wurde eh nur für die Schatten und ihn selbst aufgespielt. Zitternd hallte der letzte Ton im Musikzimmer, eines kleinen Colleges, nach. Schon fast pathetisch verbeugte sich der Geiger vor seinem Schattenpublikum und sah dann hinab auf sein Instrument. Ein Trauerspiel.
Wo sollte er nur auftreiben was ihm so unbedingt fehlte? Woher sollte es kommen? Wie lange suchte er schon und fand doch nichts außer weiteren Sackgassen und Irrwegen. Kein Erfolg konnte für ihn verbucht werden. Immer nur Zurückweisung und Hohn. Aber an seinem Herz konnte es nicht liegen. Er liebte was er tat, er liebte es zu spielen, die Musik mit jeder Faser seines Körper zu spüren. Sobald der Bogen an den Saiten lag und das Spiel begann war es, als wäre er sich selbst und der Welt ganz nah. Aber was brachte die Liebe zur Musik und zur Geige, wenn er selbst es nicht schaffte mit dem was er tat der Welt zu gefallen. Auch wenn es für ihn Wohltat war, so konnte kein Künstler es lange ertragen, wenn nicht wenigstens ein Mensch anerkannte, was er tat.
Mit stiller Trauer, schlaffen Schultern und gesenktem Haupt, verließ, der eigentlich so stattliche, Mann das Zimmer. Zurück blieben nur die Schatten.

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